des Bildes enthüllte sich also in der Wahrnehmung der Differenz, nicht in der des kunstvollen Bild-Speichers. Im sichtbaren Bild-"Ereignis" (Doelker a.a.O.) wird der Blick durch die Schönheit einer Madonna fasziniert. Deren Schönheit ist jedoch nicht die Geschmacksstudie eines Ästheten, sondern empfundene Konstruktion, Synthese von zeitgenössischer Denknotwendigkeit im Reflex auf geglaubte Naturnotwendigkeit.
Das Verführerische für nachfolgende Generationen von Bildbetrachtern ist, dass sie wie Analphabeten dem schönen Schein verfallen, den Hinweis des Zeichens übersehen. Um dieser Verführung zu entgehen, muss der Betrachter die Zeichen lesen können, um zu w i s s e n, dass er am Bild nur T e i l - nimmt, dass das Bild selber nur Teilnahme entwirft.

Raffael verwandelte die abstrakte Idee antiker Provenienz in den (Bild-)Leib als Gottesdienst sozusagen. Er arbeitete mit der christlichen lkonografie und adaptierte antike Maße und Zahlensysteme. In der Verwandlung des antiken Geistes in den christlichen Bildkörper entwickelte er aus innerer Anschauung Bildszenen des seelischen Selbst-Gewahrwerdens, der Läuterung, die der Betrachter des Bildes erleben kann.
Das Miteinander und ständige Erneuern von Körper, Geist und Seele durch Umwandlung ist im Kosmosschema thematisiert.      Raffael gibt diesem Prozess den höchsten Wert durch das liebende Miteinander im Blick der Maria, die - mehr als Mutter eines Kindes - Sophia, Inkorporation von "Weltseele" geworden ist. Der liebende Blick richtet sich auf Christus und Johannes, welcher mit der Übergabe, des Seelenvogels von der Passion kündet. Christus und Johannes, sind hier wie Geschwister, fast Zwillinge, zu Füßen der Maria/Sophia dargestellt, christianisiert ihrerseits aus antiken Vor-"bildern" der Isis- und Osiris-Metaphorik.
Maria befindet sich in Raphaels Bild auf der Erde, im damals neuen Ortraum, nicht als Mensch sondern als ideales
Geistwesen.
Sie befindet sich in der Natur, die sie als Mutter ist, und in der sie transzendierend Sophia wird. In der katholischen Liturgie gibt es die Worte: Sacrificium nostrum ad te benedictum ascendat ad te, Domine, et descendat super nos miserecordia tua. (Unser Opfer, das wir Dir bringen, steigt auf zu Dir, o Herr, und kommt als deine Barmherzigkeit zu uns herab.)

Diesen Glaubensinhalt verbindet Raffael mit einem rational erfassbaren Zahlensystem, veranschaulicht im Dreieck der als Weltseele hinabblickenden Maria/Sophia.
Die Farbe Blau anstelle des geometrischen Zeichens ist sozusagen der Transmitter zwischen abtraktem, bedeutsamen Geometriemuster und entrückter Stofflichkeit, die sich dem Sehsinn offenbart. Das Blau verbindet hier zugleich die Vorstellung vom auratisch umhüllenden Mantel mit der des Himmels, insofern der Ferne und Näherung zugleich, eingebunden in das Denkmuster der geometrischen Form des Dreiecks.
Ort und perspektivischer Raum existieren durch die Wahrnehmung und Iösen sich durch das verborgene flächige Kosmos-Kompositionsschema sogleich wieder auf.

Wie hat das Muster der Plotinschen Weltanschauung in weiteren Generationen nachgewirkt?.
Es ist interessant dabei festzustellen, wie weit die 'Notwendigkeit' solchen Musters reicht.

Folgendes Schema aus Goethes Farbentheorie sei hier gezeigt.  Goethes abstraktes Farben-Dreieck steht zum Pyramidenobjekt verkörpert in seinem Arbeitszimmer in Weimar. Im Unterschied zum Kosmosschema oder zu Raffaels Madonnenbild fehlt jedoch das Braun der Erde, bzw. das malum des Läuterungsmusters. Es fehlt ebenso jegliches Zeichen einer höheren Ordnung, eines bonum infinitum, also einer transzendente Sphäre. Ebenso ist ein subalterner Sockel zu vermissen.

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