den
„Readymades“ vielmehr mit der Poincaréschen Physik des
vierdi-mensionalen Raums auseinandergesetzt und ist dem
Gedanken nachgegangen, ob die dreidimensionalen
Gegenstände analog zum zwei-dimensionalen Schatten
ebenfalls eine Art von „Schatten“ sein könnten, nur eben
von der vierten Dimension.
Mit der „Tür“ und mit dem „Fahrrad-Rad“ denkt er die Gegensätze zusammen. Die „Tür“ hat er 1927 in seiner Wohnung in der rue Larrey Nr 11 anbringen lassen, die drei Räume gleichzeitig verband und trennte, je nachdem, in welches Schloss man sie schlug. Nicht nur veränderte sie fortwährend die Raumgestalt, blieben doch zwei Räume immer miteinander verbunden, während der dritte verschlossen wurde, nicht nur setzte er offen und geschlossen, innen und außen damit außer Gefecht, besser noch: Sie war vor allem gleichzeitig offen und geschlossen! Desgleichen das „Fahrrad-Rad“, das sich gleichzeitig bewegt und stillsteht, dank des bekannten Effekts, dass ein Speichenrad bei einer bestimmten Geschwindigkeit zunächst stillzustehen und sich dann sogar rückwärts zu bewegen scheint. Das „Fahrrad-Rad“ vermag aber noch mehr: Es kann sich zwar bewegen, bewegt sich aber nicht fort. Es dreht sich um sich selbst und ist damit die Nutzlosigkeit par excellence, weil es seiner Aufgabe beraubt ist, sich von A nach B zu bewegen. Duchamp offenbart hier den tieferen Sinn von Eigen- und Fremdbewegung, von In-sich- Bewegtheit und Fortbewegung, und stellt damit die beiden Bewegungsfragen, die der Bewegtheit, die die Kunstgeschichte wohl bis zur Erfindung der Geschwindigkeit (und des Films) beschäftigte, nämlich die Bewegtheit von Figuren, und die der Bewegung, die den Raum nicht nur markiert, besetzt und ausfüllt, sondern ihn aktiv durchmisst, sozusagen „Strecke macht“, wie es u.a. die Futuristen künstlerisch umzusetzen suchten. Er stellt diese beiden Bewegungsfragen, indem er das „Fahrrad-Rad“ seiner Funktion enthebt, sich fortzubewegen, und gleichzeitig die In-sich-Bewegtheit |
von
Figuren respektive Dingen in de Kunst nurmehr meint, als
dass er sie zeigt. Das „Fahrrad-Rad“ markiert zwar
ebenso die vollendete In-sich-Bewegtheit wie die
vollendete Bewegung, aber beides, wie fast immer bei
Duchamp, in einer Art, die beide Bereiche mitsamt ihrer
sämtlichen Normen und Kriterien ad absurdum führt. „Wie
kann man Werke schaffen, die keine Kunst sind“, ließe
sich ergänzen um „wie kann man Dinge schaffen, die
keinen Nutzen haben?“ Duchamp bewegt sich in skeptischer
Äquidistanz sowohl zum Diktum des Nutzens, das die
Dingwelt bestimmt, als auch zum Diktum der Kunst, die
keinem Gesetz außer ihrem eigenen dienen soll (Kants
„interesseloses Wohlgefallen“).
Duchamp setzt die erwartete Transformation außer Gefecht, es ist eben mangels Fortbewegung keine Kraftübersetzung wie beim Ottomotor, ebenso bleibt auch das erwartete gute Gefühl, die ästhetische Belohnung des Kunstgenusses einer irgendwie gearteten Schönheit aus. Stattdessen bleibt man irritiert zurück. An die Stelle von Zweckrationaliät und Wohlgefallen tritt bei Duchamp jedoch etwas Drittes: das Denkmodell. Das ist nicht einfach nur ein Schema, was komplexe Zusammenhänge abstrahierend visualisiert. Ein Denkmodell hilft, die Dinge anders zu denken, und zwar, indem es Gewohntes infrage stellt, das dabei oft in seiner Widersprüchlichkeit, ja, Absurdität gezeigt wird. Und ein solches Denkmodell ist nicht nur die eingangs geschilderte Überblendung von Läuterungsschema und Ottomotor, sondern auch der Verkehr, umfasst er doch auch die Verkehrung, die in den 21 Jahren des EINSTELLUNGSRAUM immer mitgedacht wurde. Auch die Einstellung ist ein wunderbares Teekesselchen, beschreibt sie doch nicht nur eine äußere Position und eine innere Haltung, sondern denkt ihr eigenes Ende gleichsam mit. Doch soll dieser Raum nun wirklich eingestellt werden oder kann er nicht in anderer Form als Denkraum weiter bestehen? ©
Veronika Schöne 2023
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