Rede Einstellungsraum 2023



Liebe Elke,
Verkehr ist vielerlei Hinsicht metaphorisch.
Man verkehrt miteinander, das reicht vom zwischenmenschlichen Umgang über den Straßenverkehr bis hin zum Sex. Wichtig ist hierbei der Aspekt der Regelmäßigkeit: Busse und Bahnen verkehren nur dann, wenn sie es regelmäßig tun, man verkehrt nur mit jemandem, wenn man  diesen  Umgang auch pflegt, nur  beim  Sex  ist die
Regelmäßigkeit zwar mitgedacht, aber das entspricht oft mehr dem Wunsch als der Wirklichkeit. Der Begriff umfasst aber auch die Verkehrung, das Narrenschiff, die verkehrte Welt, ein Teekesselchen, ähnlich schön wie umgehen und umgehen.


Diese Bedeutungsbreite und Wortspielereien, die Absurditäten und Inversio-nen waren von Anfang an dem EINSTELLUNGSRAUM eingeschrieben. „Einstellung“ markiert sowohl den äußeren Vollzug einer Bewegung als auch eine innere Haltung. Beiden ist gemeinsam, dass sie sich auf etwas beziehen: Ohne Koordinaten, Bezugspunkte und Perspektiven sind sie gleichsam inexistent. Der  EINSTELLUNGSRAUM ist also ein Raum, in dem Dinge und Menschen sich zueinander verhalten und über einen langen Zeitraum auch – regelmäßig – miteinander verkehren. Und zwar mit dem metaphorischen Bezugspunkt des (Straßen-) Verkehrs.

Besonders mit der Perspektive treten wir ein ins genuin Künstlerische. Das Perspektivische kann man entweder aus dem Blickwinkel einzelner Beteiligter schildern, also aus subjektiver Sicht, oder man schafft ein Schaubild, ein Schema, das auf einer Metaebene einen Überblick gibt über komplexe Zusammenhänge, die häufig eher als Abstrakta denn als Konkreta figurieren und sich  daher auch besser in einer Bildform darstellen lassen, die nicht Dinge, sondern – im weitesten Sinne – Daten in eine Anschaulichkeit überführen.
Sinnbild des ganzen Projekts ist für Dich, liebe Elke, das „Läuterungsschema in Form eines Ofens“ aus dem Jahr 1477 von Thomas Norton, einem Alche-misten, das Du in Beziehung setzt zu einem Foto des ersten atmosphärischen Flugkolben-Gasmotors von Nikolaus August Otto aus dem Jahr 1867. In beiden Fällen geht es um Transformation, genauer gesagt: um eine Über-setzung von Kräften, im ersten Fall von den Kräften des Bösen unter Einbe-ziehung der vier Elemente über kosmische Hierarchien hin zum Göttlichen, im zweiten Fall von der Explosion hin zur Motorenbewegung. In der Über-blendung wird die Seelenbewegung mit der kinetischen Fortbewegung parallelisiert.

Für Dich steht die Frage im Raum, ob und wie dieses alchemistische Denk-muster zur Gestalt des ersten Ottomotors geführt hat, einer Maschine, die, wie Du sagst, „unsere Wirtschafts- und damit Lebenswelt in Folge so entscheidend bestimmt“ hat. Wichtig war Dir dabei, „einen Weg zu finden,der sich weder für noch gegen das Auto mit den jeweils bekannten Argumentationen richtet“.*

Die Rückführung der Maschinenzeichnung auf ein metaphysisch-spirituelles Denkmuster, was einen Weg beschreibt, der sich auch in den verzweigten Wegenetzen im Außen womöglich deshalb manifestiert, weil, wie Du schreibst, vielleicht „nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit Wegenetze sich von selbst aus der menschlichen Tätigkeit ergeben, sozusagen herausfließen,weil der Mensch selbst aus Wegenetzen besteht?“ – diese Rückführung hat es in sich, und zwar unter dem Aspekt der Kunst.

Viele Kunst- und Ausstellungsprojekte widmen sich inhaltlich bestimmten Themen, so auch der EINSTELLUNGSRAUM, der in den 21 Jahren seines Bestehens aus dem Grundthema vielfache Variationen herausgedreht hat, darunter so schöne Jahresthemen wie „Das Paradies und das Auto“ (2005), „Autos fahren keine Treppen“ (2011), „Park & Ride“ (2014), „Regeln Regeln. Regeln regeln!“ (2019) und „Sprit und Spirit“ (2020). Viele von ihnen wie
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* siehe Mappenwerk 2022                                                                                 next